SENDEN. Es ist eine außergewöhnliche Gruppe, die sich an diesem Vormittag für zwei Stunden im Joseph-Haydn-Gymnasiums trifft. Kein Kind, kein Jugendlicher und keine Lehrkraft ist im Klassenraum zu sehen. Nur Erwachsene lernen dort gemeinsam. Genauer gesagt: Eltern unterrichten Eltern aus der Ukraine, deren Kinder seit einigen Monaten das JHG besuchen. Keine ausgebildeten Lehrer, sondern motivierte Mütter versuchen, Geflüchteten Schritt für Schritt die deutsche Sprache näherzubringen.
„Wie lautet die Mehrzahl von Stock?“, fragt Tina Vorndamm. „Stöcke“, lautet eine Antwort. „Stockwerke wäre auch richtig gewesen“, ergänzt die Sprachmittlerin. Vom „Stockwerk“ macht sie einen kleinen Ausflug in die Architektur und zeichnet ein Haus an die Tafel, Dann benennt und beschriftet sie die Etagen vom Keller bis zum zweiten Obergeschoss.
Neun motivierte Mütter im Einsatz
Einfach ist die Verständigung mit den ukrainischen Eltern nicht, längere Gespräche sind mühsam. Doch es hilft, dass von den drei Müttern, die an diesem Vormittag unterrichten, eine Russisch spricht. Galina Karbowiak kann oft einspringen, wenn etwas unklar ist. Sie bildet an diesem Vormittag mit Tina Vorndamm und Irene Foth ein Team – das sind drei von insgesamt neun Eltern, die dienstags, donnerstags und freitags von 8 bis 10 Uhr zwölf bis 18 ukrainische Eltern unterrichten. Die Beteiligung ist unterschiedlich, da die Geflüchteten manchmal Behördengänge oder anderes erledigen müssen.
„Viele warten noch auf ihren offiziellen Sprachkurs, bei dem sie ein Zertifikat erhalten. Das gibt es bei uns nicht. Es geht auch darum, zusammen zu sein, miteinander zu lachen und sich Mut zu machen“, sagt Galina Karbowiak. Sie und die anderen Mütter müssen den Stoff nicht aus der Hüfte schießen. Ein Standardlehrwerk für „Deutsch als Zweitsprache“ (DaZ) steht den Teilnehmern zur Verfügung – die Vokabeln werden darin mit Bildern erklärt, so dass es für Geflüchtete mit unterschiedlichen Muttersprachen einsetzbar ist. Jeweils eine der drei Sprachmittlerinnen an den verschiedenen Einsatztagen spricht Russisch. In einer Whats-App-Gruppe tauschen sich die Mütter aus, damit es am nächsten Unterrichtstag nahtlos weitergehen kann.
Kein stures Durchpauken
„Der Unterricht ist kein stures Durchpauken. Die Eltern haben richtig Spaß dabei“, berichtet Schulleiter Frank Wittig. Nachdem im März die Edith-Stein-Schule die ersten ukrainischen Schüler aufgenommen hatte, wurden in diesem Schuljahr auch dem JHG geflüchtete Kinder und Jugendliche zugeteilt. „Im Sommer haben wir vom Schulamt erfahren, dass wir Erstförderstandort für Deutsch als Zweitsprache werden“, so Wittig. 19 Schülerinnen und Schüler im Alter von elf bis 17 besuchen jetzt die verschiedenen Jahrgangsstufen. „Die Kinder lernen flott“, berichtet Wittig. Sie nehmen gemeinsam am DaZ-Unterricht teil, besuchen aber die meiste Zeit ihre jeweiligen Klassen, was für die Integration gut sei.
„Wir fanden es sinnvoll, auch ihren Eltern ein Angebot zu machen“, erklärt Wittig. Denn auch sie müssten mit einer völlig fremden Sprache einschließlich unbekannter Buchstaben zurechtkommen. Da es für DaZ-Unterricht für Eltern keine Stelle gibt, ist der Schulleiter froh, dass sich Mütter als Sprachpaten gemeldet haben und dankt ihnen für diesen Einsatz.
Dafür, dass sie dieses besondere Angebot möglich macht, bekommt auch die Schulleitung Lob von deutschen und ukrainischen Eltern. „Es ist schön, dass es diesen Unterricht für uns gibt“, sagt Katerina. Sie kommt aus Charkiw im Osten der Ukraine. Trotz des schrecklichen Krieges in der Heimat müsse das Leben weitergehen, betont die Mutter, die froh über die Sicherheit in Senden ist.
von Thomas Fromme